Muslime in Österreich, Welche gesellschaftspolitische Rolle spielen sie?

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Redebeitrag für Seminar in Loccum/Deutschland

Diejenigen aber, die handeln wie es recht ist – sei es Mann oder Frau – und dabei gläubig sind, werden ins Paradies eingehen und nicht im Geringsten Unrecht erleiden.
(Koran, 3:195)

Glauben und Handeln sind im Islam aufs engste miteinander verknüpft. Der Auftrag an die Gläubigen, nicht nur ein sozial verträgliches Leben zu führen, sondern vor allem aktiv an der Mitgestaltung einer auf dem Ideal sozialer Gerechtigkeit fußenden Gesellschaft mitzuwirken, ist sowohl im Koran als im Hadith eine zentrale Botschaft. Dies bezieht sich selbstverständlich nicht allein auf das muslimisch geprägte Umfeld, sondern ist als eine generelle Haltung der Mitmenschlichkeit zu verstehen. Gerade in der Minderheitensituation erhält die Aussage von der gottgewollten Vielfalt der Menschen so eine besondere Dimension, die wieder den Appell zu einem ethisch hoch stehenden Handeln einschließt: „…Und wenn Allah gewollt hätte, so hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch Er wollte euch prüfen in dem, was Er euch gegeben hat. Darum wetteifert miteinander in guten Werken. Zu Allah werdet ihr alle zurückkehren. Dann wird Er euch Kunde geben davon, worüber ihr zu streiten pflegtet.“  (Koran, 5:48)

Theologisch betrachtet kann also kein Zweifel daran bestehen, dass es für Muslime zur Lebenseinstellung gehören sollte, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen und in dieser auch in einer Weise zu partizipieren, dass dies dem Allgemeinwohl zu Gute kommt.

Das österreichische Modell im Umgang mit den anerkannten Religionsgemeinschaften kommt den Muslimen hier entgegen. Denn in Österreich hat sich ein Säkularismus bewährt, der bei einer klaren Aufgaben- und Machtverteilung im Staat den gesellschaftspolitischen Stellenwert des Engagements religiös motivierter Menschen einbindet. Hier ist eine Balance gegeben, die sich gegenüber einer streng laizistisch verstandenen Trennung von Staat und Religion wohltuend abhebt. Denn gerade nach dem französischen Verbotsgesetz „ostentativer religiöser Zeichen“ an Schulen und in öffentlichen Einrichtungen taucht vermehrt die Frage auf, ob damit Laizismus nicht zu einem kalten Dogma mutiert ist, das die Neutralitätspflicht des Staates unzulässig auf die diesen schließlich formenden Individuen ausdehnt und den Menschen damit letztlich jene Individualität zu leben abspricht, die der neutrale Staat eigentlich schützen sollte.

Österreich ist hier anders und speziell im Hinblick auf den Islam beispielgebend innerhalb Europas. Das Islamgesetz von 1912 mit der Garantie von freier und öffentlicher Religionsausübung und der inneren Autonomie, die Regelung der religiösen Angelegenheiten betreffend, bilden zusammen mit der seit 1979 bestehenden Islamischen Glaubensgemeinschaft, die als Körperschaft öffentlichen Rechts ein Bindeglied zwischen Muslimen und staatlichen und anderen Institutionen darstellt, eine gute Grundlage für die Integration als gleichberechtigte Partner. So wird das Wort der Muslime auch bei solch staatstragenden Ereignissen wie der Anhörung der Religionsgemeinschaften zum Österreichischen Verfassungskonvent eingeholt, sind sie in Gesetzfindungsprozesse eingebunden, wenn es um sie betreffende Angelegenheiten geht. So etwa, als im Zuge der Formulierung eines bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzes das Thema „Schächten“ für Juden und Muslime trotz eines diese Praxis garantierenden Spruches des Obersten Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahre 1998 neu aufgerollt wurde. Israelitische Kultusgemeinde und Islamische Glaubensgemeinschaft arbeiteten hier zusammen, nahmen etwa zahlreiche Gespräche mit den Parteien im Parlament gemeinsam wahr, so dass schließlich eine alle zufrieden stellende Lösung gefunden werden konnte.

Eine Besonderheit stellt in Österreich gewiss auch der reguläre islamische Religionsunterricht dar, der für alle Schülerinnen und Schüler angeboten wird und dessen inhaltliche Ausrichtung dabei in den Händen der Islamischen Glaubensgemeinschaft liegt. Sie übernimmt nun schon seit dem Start im Schuljahr 1982/83 die Auswahl des Lehrpersonals, die Lehrplangestaltung und die Entwicklung der Unterrichtsmaterialien. Dabei konnten in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte in Richtung Qualitätssicherung  und –verbesserung vorgenommen werden. So gibt es seit 1998 eine eigene Ausbildungseinrichtung, die Islamische Religionspädagogische Akademie IRPA und mit September 2003 auch eine verpflichtende Fortbildung am IRPI, dem Islamischen Religionspädagogischen Institut. Der Religionsunterricht, an dem rund 40.000 SchülerInnen bundesweit teilnehmen hat sich als wichtiges Instrument der Integration erwiesen. Nicht nur dass damit ein wichtiges Zeichen der Anerkennung und Gleichstellung mit anderen anerkannten Religionsgesellschaften erfolgt, kann so gerade bei der Jugend angesetzt werden, um religiöse Bildung mit einer notwendigen inneren Auseinandersetzung etwa um die eigene Identität zu verbinden. Der sehr bewusst ausschließlich auf Deutsch abgehaltene Unterricht soll ein Bewusstsein fördern, dass es kompatibel ist, sich zugleich als Muslim/in zu fühlen und als Bestandteil Österreichs, Europas. Dazu wird auch die Reflexion um die Unterscheidung zwischen Religion und Tradition, zwischen Religion und nationaler Herkunft unterstützt. Nur ein Erstklassler wird so vielleicht auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit noch immer mit „Türkisch“ antworten, während solche Missverständnisse in Folge beim Besuch des Religionsunterrichts, gerade auch in der Begegnung mit der inneren Vielfalt durch die unterschiedliche ethnische Herkunft, ausgeräumt werden können. Zudem soll eine aktive Auseinandersetzung in jenen Punkten stattfinden, wo traditionell bedingte Sichtweisen womöglich im Widerspruch zur Religion stehen – gerade in der Frauenfrage sehr entscheidend. Schließlich finden Schulen durch die hohe Zahl der muslimischen LehrerInnen, die sich als KollegInnen einbringen können, immer stärker Wege – von gemeinsamen Feiern bis zur Mediation in Fällen, wo interkulturelle Kompetenz gefragt ist - zur Stärkung des besseren gegenseitigen Verständnisses und der Akzeptanz.

Trotzdem können wir als Muslime nicht umhin, uns immer wieder vor Augen halten zu müssen, dass der Status rechtlicher Anerkennung bei weitem nicht breite gesellschaftliche Akzeptanz bedeutet. Die gleichen Ängste vor dem Islam lassen sich quer durch Europa ausmachen. Mangelhaftes Wissen über den Islam, gepaart mit negativen Assoziationen angesichts der Situation in Krisengebieten der Erde und der Interpretation sozialer Missstände als der islamischen Religion immanenter Ungerechtigkeiten, ergeben eine gefährliche Mischung, die leicht in Islamophobie oder offene Islamfeindlichkeit mündet, wenn die Mehrheit sich in von sozialer Unsicherheit gekennzeichneten Zeiten, in der eigene Werte neu zu definieren und/oder zu bewahren sind, von der Minderheit bedroht fühlt. Es scheint auch kein Zufall, dass gerade jene Länder innerhalb der EU, die am massivsten mit wirtschaftlichen Problemen und einem ständigen Sozialabbau kämpfen, mit der Kopftuchdiskussion einen Stellvertreterkrieg ausfechten, bei der muslimische Frauen zu der zweifelhaften Ehre gelangen, dass auf ihren Köpfen so komplexe Themen wie Integration, das Verhältnis von Staat und Religion, Gleichbehandlungsmodelle oder die Kompatibilität von Islam und Europa diskutiert werden. Wenn auch in sehr gemäßigter Form, in der gerade Mainstreammedien und Formate mit großer Breitenwirkung wie die Talkshow „Vera“ mit einem gewissen Nationalstolz auf die alles in allem entspannte Situation in Österreich verweisen, ist die Kopftuchthematik auch zu uns übergeschwappt.

Schon hier wird deutlich, dass die Themen, die Muslime direkt betreffen, in der Regel nicht von diesen selbst in den Diskurs eingebracht werden und oft aus der Tagespolitik heraus unter einengenden Aufhängern abgehandelt werden.

Eine Besonderheit stellt auch dar, dass viele kontrovers geführte Diskussionen erst aus dem historischen Zusammenhang verständlich werden. Die Thematik um die Stellung der Frau im Islam wird als Reizthema erst dann begreifbar, wenn der Kampf der westlichen Frau um ihre Rechte, der noch immer nicht völlig abgeschlossen ist, mitgedacht wird. Ähnlich verhält es sich bei Stichwörtern wie „Aufklärung“ oder „Säkularismus“. Projektionen eigener kultureller und geschichtlicher Erfahrungen auf das scheinbar Fremde tragen unbewusst zur Verwirrung bei, da sie mitunter Positionen unterstellen, die dem Islam so nicht zuzuordnen sind. Aus dem Rechtfertigungseck heraus argumentieren zu müssen – wenn es denn überhaupt gelingt, dass nicht nur über, sondern mit Muslimen geredet wird – erweist sich als besondere Herausforderung.

Das Motto „Integration durch Partizipation“ wird aber gerade vor diesem Hintergrund als gültig und zielführend betrachtet, um eine aktive Rolle einzunehmen und möglichst eigeninitiativ zu agieren und nicht nur zu reagieren.. Spätestens seit dem Jahre 1999 und dem damaligen Nationalratswahlkampf, der seitens der FPÖ stark mit antimuslimischen Ressentiments spielte, trat in der innermuslimischen Diskussion in den Vordergrund, dass man sichtbar als Teil der Gesellschaft auftreten müsse und sich auch kritischen Fragen stellen sollte, um durch positive Präsenz einen Beitrag zu mehr gegenseitigem Verständnis und Akzeptanz zu leisten.

Der Gedanke der Partizipation wurde in Folge unter dem bewussten Bekenntnis „Wir sind nicht nur für Muslime da“ ausgestaltet und konkretisiert und damit entscheidend weiter gefasst als das ehrenamtliche Engagement im eigenen muslimischen Kreis. Mehrere Bereiche der Partizipation sind somit definiert und werden auch mit entsprechenden Projekten realisiert:

  • Öffentlichkeitsarbeit: „Tage der offenen Moschee“, um Information mit Begegnung zu verbinden und so Hemmschwellen zu überwinden; offene Sprechstunden; Dialogprogramme für Schulen und für spezifische Berufsgruppen (PädagogInnen, Exekutive, Spitalspersonal), Information und Diskussion mit StudentInnen und WissenschafterInnen im Rahmen von deren Arbeiten
  • Interreligiöser Dialog: Teilnahme an diversen Veranstaltungen, Frauenbegegnung im Rahmen regelmäßiger Treffen mit Themenschwerpunkten
  • Vernetzung mit Einrichtungen der Zivilgesellschaft: Zusammenarbeit in der Friedensbewegung, in der Debatte um die Gefährdung des Sozialstaates, um die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien, die Asylantenthematik
  • Medienarbeit: Stellungnahmen durch Aussendungen, Vermittlung von Informationen und möglichen Interviewpartnern, Homepage www.derislam.at
  • Sozialer Bereich: Muslimischer Besuchs- und Sozialdienst vor allem an Spitälern, Seelsorge um die Gesundung durch psychische Stabilität und seelische Ausgeglichenheit zu fördern und Brückenbaufunktion zum Personal, Aufbau von Projekten für AsylantInnen, oft in direkter Zusammenarbeit mit Caritas und Diakonie, gezielte Projekte wie Hilfe nach der Hochwasserkatastrophe oder mit Obdachlosen
  • Anti-Rassismusbereich: Dokumentation von Diskriminierungserfahrungen, um bewusstseinsbildend zu wirken, Vernetzung mit anderen Institutionen auf diesem Gebiet, Workshop „Wie begegne ich Islam- und Fremdenfeindlichkeit im Alltag?“ (TeilnehmerInnen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit) als Maßnahme zu Empowerment und Steigerung von Zivilcourage
  • Politische Partizipation: Fördern des Interesses an österreichischer Politik und Engagements innerhalb der hiesigen Parteienlandschaft, Beispiel: Der erste bekennende muslimische Kandidat für den Wiener Landtag Omar Al Rawi erhielt sein Mandat über einen erfolgreich unter dem muslimischen Zielpublikum geführten Vorzugsstimmenwahlkampf, Kontakt zu PolitikerInnen der diversen Parteien.
  • Förderung der aktiven Teilhabe muslimischer Frauen: eigenes Frauenreferat, offene Frauentreffs, um die innere Vielfalt als Potential zu betonen und Projektarbeit wie eine spezielle Mädchensprechstunde zu fördern, Bildungseinrichtung „Islamische Fachschule für soziale Berufe“, die vor allem Mädchen Orientierung nach er Hauptschule bietet und Weiterbildung sicher
  • Innermuslimischer Diskurs: Nachdenken über die Situation von Muslimen in Europa, dynamische theologische Herangehensweise an Fragen der Moderne, Abgrenzung von Religion zu Tradition, Ausbildung der Jugend durch qualifiziertes (durch die IRPA) Lehrpersonal im Religionsunterricht, Durchführung der großen europäischen Imamekonferenz 2003 mit dem Schlussdokument „Grazer Erklärung“ als Standortbestimmung des Islam in Europa

Partizipation versteht sich so als Gegenmodell zur Assimilation, weil bei Beibehaltung der eigenen kulturellen und religiösen Identität eine aktive Teilhabe, die auch die Bereicherung durch den damit verbundenen Austausch einschließt, echte Integration ermöglicht wird.

Alle diese Aufgabenbereiche auch öffentlich sichtbar zu zeigen, hat der Medienarbeit eine besondere Rolle zugewiesen. Unter Muslimen ist die anfängliche Skepsis angesichts negativer Beispiele von den Islam verzerrenden oder verkennenden Darstellungen der Überzeugung gewichen, dass Transparenz über alle den Islam betreffenden Aspekte in Österreich das Klima sozialen und religiösen Friedens weiter wirksam festigt. Es wäre schlicht nicht richtig, nur über Defizite in den Medien zu jammern, ohne selbst einen Beitrag zu einem differenzierteren Islambild leisten zu wollen. Scheu vor scheinbar unbequemen Fragen erübrigt sich auch dann, wenn man sie als Chance begreift, hier für Aufklärung zu sorgen. In der besonders heiklen Situation unmittelbar nach den Attentaten des 11. September 2001 konnte in einer von vielen getragenen gemeinsamen Anstrengung vermittelt werden, dass Islam nicht mit Terror gleichgesetzt werden darf. Vorsichtig ist man häufig, wenn es um die Darstellung sozialer Projekte geht. Zum einen steht hier der Respekt vor der Privatsphäre von KlientInnen, zum anderen ist ein großes Bewusstsein dafür vorhanden, dass tätige Hilfe mit einer aufrechten Absicht verbunden sein soll. Diskretion ist hier islamischer Usus, da die Niyya, die lautere Absicht nicht durch ein sich zur Schau stellen beeinträchtigt werden soll. So gilt es immer auch abzuwägen, dass derartiges Öffentlichmachen nicht persönliche Inszenierung zum Gegenstand haben soll, sondern den Aspekt des zum Nachmachen animierenden Berichts in den Vordergrund stellt.

Spannend erweist sich auch, dass die mediale Aufbereitung von Themen immer auch den internen Diskurs fördert. In der Kopftuchdebatte ist daher das Feedback von muslimischer Seite sehr wichtig und aufbauend. Die Reaktionen begrüßen, dass immer wieder auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau hingewiesen wird und das Kopftuch nicht als angebliches Symbol, welches es vom Islam her nicht einmal ist, Gräben zwischen Frauen mit und ohne diese Bekleidung aufreißen soll.

Für die Zukunft wird es zunehmend von Bedeutung sein, die vielen Aktivitäten, die auf Ehrenamtlichkeit setzen, auf eine Ebene der Institutionalisierung  zu heben, die eine nachhaltige und professionelle Arbeit garantiert. Den Muslimischen Besuchs- und Sozialdienst etwa zu einer Institution vergleichbar der Caritas oder Diakonie auszugestalten, ist solch ein Projekt. Im sozialen Bereich sehen wir auch die größten Aufgaben als Religionsgemeinschaft, zum einen, um soziale Standards mitzuerhalten, zum anderen, um die Diskussion um Themen wie Sterbebegleitung, das Recht auf Asyl oder eine Grundsicherung als auch religiös untermauerte Menschenrechte zu vertiefen.

Hier wird die Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften und der Zivilgesellschaft sich als weiter ausbaufähig und sinnvoll erweisen.

 

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