Demokratiepreis 2008: Laudatio Fr. Dr. Brigitte Bierlein im Parlament

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Laudatio von Fr. Dr. Brigitte Bierlein, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes anlässlich der Preisverleihung im Parlament am 13. November 2008

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Herr Präsident, geschätzte Festgäste!

Es ist mir eine Freude, zum zweiten Preisträger, dem Verein Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen, zu sprechen. Ihre fünf Mitgründer sind anwesend, stellvertretend darf ich den Obmann, Herrn Dipl. Ing. Baghajati, nennen.

"Nicht über Muslime reden, sondern mit ihnen", ist ein wesent­liches Motto der Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Impulse in gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen zu geben und Brücken zu bauen.

Die Initiative wurde iJ 1999 zur Förderung der Integration von Muslimen und der Korrektur des oft verzerrten Bildes des Islams in der Öffentlichkeit gegründet. In den fast 10 Jahren ihres Bestehens hat die Initiative einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz und zur "Integration durch Partizipation" geleistet. Dies ist auch deshalb besonders bedeutend, weil die Arbeit der Initiative durch die tragischen Ereignisse des 11.9.2001 in den USA, die auch in Teilen Europas zu einer verstärkt negativen Haltung gegenüber Angehörigen des Islams geführt hat, nicht gerade erleichtert wurde.

Durch Vernetzung innerhalb der Zivilgesellschaft, u.a. durch Beteiligung am Europäischen Netzwerk gegen Rassismus, durch gezielte Projektarbeit und offenen Dialog lebt die IMÖ Demokratie als eigenständigen Wert vor. Dieser Wert erschöpft sich nach dem Verständnis der Initiative nicht in der Wahrnehmung des Stimmrechts bei Wahlen; vielmehr wird die Teilhabe an der gesellschaftlichen Verantwortung für ein respektvolles Miteinander über Religionen und Kulturen hinweg gefördert und damit ein Zuwachs an Akzeptanz im sozialen Umfeld von Österreicherinnen und Österreichern mit muslimischem Hintergrund erreicht.

Hervorzuheben sind die innovative Medienarbeit der Organisation, frauenspezifische, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördernde Projekte, der Tag der Offenen Moschee und Schulprojekte mit Dialogveranstaltungen für Schülerinnen und Schüler, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer sowie Fortbildungsveranstaltungen für die Exekutive. Besonders freut mich, dass bereits ein neues Projekt gemeinsam mit der anderen Preisträgerin, der Ganztags­volksschule Europaschule, initiiert wurde; ein schönes Zeichen für die Nachhaltigkeit der Lupac-Stiftung.

In der Tat ist die Förderung des Wissens über die Möglichkeiten der Partizipation an den demokratischen Einrichtungen in Österreich ein wesentlicher Schlüssel zur Integration.

Die IMÖ hat mit ihren ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern erfolgreich den Beweis angetreten, dass die Identität als Muslim/ als Muslimin und die Zugehörigkeit zu Österreich und zu Europa - entgegen weit verbreiteter anderer Meinungen - kompatibel ist. Frauen und Männer arbeiten in der Initiative völlig gleichbe­rechtigt zusammen; die Öffentlichkeitsarbeit und die Vertretung nach außen erfolgt in der IMÖ unter der Ägide einer Frau - ein in muslimischen Organisationen wohl singulärer Ansatz! Ein Grund für den Erfolg der IMÖ liegt im Vertrauen der Basis; die Initiative ist für alle Muslime da, unabhängig von der ethnischen Herkunft oder rechtsschulischen Zugehörigkeit.

Erwähnung verdient auch die Nominierung der IMÖ im Österreichkonvent zur Abgabe einer muslimischen Stellungnahme.

Die IMÖ nimmt ihre Rolle als Mittlerin zwischen Religionen und Kulturen aktiv wahr. Sie hat bei den Imame-Konferenzen in den vergangenen Jahren in Graz und in Wien, die von der Islamischen Glaubensgemeinschaft gemeinsam mit dem österreichischen Außenministerium veranstaltet wurden, entscheidend mitgewirkt. Veranstaltungen der IMÖ im interreligiösen Bereich, gemeinsam mit jüdischen und buddhistischen Organisationen, bieten ein gutes Beispiel dafür, dass das Eintreten gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie für ein respektvolles Miteinander ein wichtiges Anliegen aller Religionen ist.

Europa, einst klassischer Auswanderungskontinent, ist längst zu einem Einwanderungskontinent geworden. Österreich gehört mit einem Anteil von fast 15% im Ausland geborener Bevölkerung - Dr. Perchinig hat darüber in seiner Festansprache schon referiert - weltweit zu den relativ großen Einwanderungsländern.

Ein beachtlicher Teil der MigrantInnen sind Muslime und Musliminnen oder stammen aus Ländern mit islamischer Tradition. Islamische Vielfalt wurde in den letzten Jahrzehnten nach Europa gebracht, der Islam ist auch in Österreich zu einer festen Größe geworden. Inzwischen leben drei Generationen von MigrantInnen hier; der "Gastarbeiterstatus" sollte überwunden sein, Zuwanderer sind zu einem wichtigen Bestandteil des kulturellen, sozialen und politischen Lebens geworden.

Die liberalen Verfassungen Europas eröffnen breite Freiräume für individuelle Lebensgestaltung. Zu den unverzichtbaren Grundlagen zählen die Achtung der Menschenwürde, das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Mehrheitsentscheidung und Minderheitenschutz sowie die Grundrechte, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Meinungs-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der Schutz des Privat- und Familienlebens.

Integrationspolitik ist nicht Politik für Migranten, sondern Politik für das gesamte Gemeinwesen; Integration ist ein zweiseitiger Prozess, der Leistungen von Zuwanderern ebenso verlangt wie von der Aufnahmegesellschaft; nicht nur die Eingliederung in eine bestehende Ordnung, sondern auch das "Hineinlassen" ist erforderlich.

Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten sind wesentliche Voraus­setzungen für das Gelingen von Integration. Die Islamische Glaubensgemeinschaft hat in Österreich seit 1912 - also bald 100 Jahre -  gesetzlich anerkannten Status, somit günstige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess. Die Arbeit der Initiative in Österreich, einem säkularen pluralistisch-demokratisch begründeten und gerade nicht sekularistischen politischen System, gibt gestaltende Kraft.

Es ist daher in der Tat vereinbar, Muslime, gleichzeitig aber Österreicher und Europäer zu sein. Die Vermittlung dieser Überzeugung ist von großer Bedeutung, um die Jugend auf beiden Seiten - mit und ohne muslimischen Hintergrund - gegen Radikalisierungsversuche zu immunisieren. Der demokratische Rechtsstaat ist nicht als bloßes Konzept, sondern nur in gelebter Praxis zukunftsfähig.

Die IMÖ hat mit ihren Beiträgen demokratiepolitische Partizipation vorgelebt, die Rechte von Frauen gestärkt, offene Kommunikation mit der österreichischen und europäischen Gesellschaft gepflogen, ein positives Bild von Muslimen und Musliminnen gezeichnet und die Jugend in ihre Projekte miteinbezogen; sie hat damit Vorbildwirkung zur Unterstützung eines erfolgreichen Integrationsprozesses, zum friedlichen Miteinander verschiedener Kulturen entfaltet.

"Heimat sind die Menschen, die wir verstehen und die uns verstehen", hat Max Frisch gesagt. In diesem Sinne hat die IMÖ viele einem Stück Heimat in der Demokratie Österreich und in einem starken Europa näher gebracht; dafür gebührt ihr der heute verliehene Preis. Herzlichen Glückwunsch!

Dr. Brigitte Bierlein

 

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