9/11 und die Folgen: Aus aktueller Sicht und in der Perspektive des ersten Jahrestages 2002

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9/11 und die Folgen: Aus aktueller Sicht und in der Perspektive des ersten Jahrestages 2002

 

von Carla Amina Baghajati

 

 

 

 

Zum ersten Jahrestag der Anschläge des 11. Septembers, also vor neun Jahren, entstand der Text weiter unten. Ob überhaupt auffallen würde, dass er schon so alt ist, wenn wir ihn ohne Datumsangabe verschickten?

 

 

 

 

Viele der Themen und Fragen von damals haben heute die gleiche Aktualität, ja manche der angesprochenen Tendenzen haben sich verschärft. Das Thema „Sicherheit“ überlagert bis heute die Integrationsdebatte und macht es für Musliminnen und Muslime schwierig, ein eigenständiges Profil zu gewinnen, ohne sich ständig für Geschehnisse außerhalb Österreichs, auch außerhalb ihrer Einflussmöglichkeit, rechtfertigen und verantworten zu müssen.

 

 

 

 

Rechtspopulisten missbrauchten vorhandene Ängste für ihre Zwecke und verlagerten Ressentiments gegen „die Ausländer“ zunehmend in Richtung „die Muslime“, bzw. „die Türken“. Diskurse wurden ins Religiöse verschoben, obwohl sie – geht es ums Thema Integration – vor allem soziale Hintergründe im Bereich der Bildung, Wohnsituation und der Jobchancen haben.

 

 

 

 

Islamfeindlichkeit reicht als Phänomen heute in den Mainstream. Wird unten die Wertestudie von Univ. Prof. Zulehner zitiert, so ist die Ablehnung von Muslimen als Nachbarn weiter gestiegen, in zehn Jahres- Sprüngen von 15,4%  auf 24,7% und jetzt 31 %.

 

 

 

 

Das muss nachdenklich stimmen, was die Effizienz all der bisherigen Dialoganstrengungen, gerade im Zuge des Diskussionsbedarfs nach 9/11 betrifft. Oder läge die Zahl noch höher, ohne all die Aufklärungs- und Begegnungsinitiativen? Gerade die interreligiöse Zusammenarbeit entwickelte sich sehr positiv, auch durch neu entstandene Netzwerke wie die Plattform „Christen und Muslime“.

 

 

 

 

Fakt aber bleibt, dass vorhandene Vorurteile und anti-muslimische Einstellungen nach 9/11 sich in neuer Direktheit äußerten, salonfähig wurden. Rechtspopulistische Wortschöpfungen wie „Islamisierung“ fingen diffuses Unbehagen in Kampfbegriffen ein, mit denen die Antipathie angesichts der Sichtbarkeit alles Muslimischen sich wandelte in eine Haltung der scheinbar begründeten moralischen Entrüstung. Bedrohungsszenarien wurden konstruiert, die es legitimieren sollten, Muslime offen zu diskriminieren und in ihrer Religionsfreiheit einzuschränken. Die Minarettdebatte lässt grüßen.

 

 

 

 

Ob die schrecklichen Attentate in Norwegen endlich ein Umdenken bringen, fanatisierte Islamhasser und ihre Welt der Internetforen, wo sie ihre krude Weltsicht teilen, ernster zu nehmen? Höchst aktive Netzwerke bestehen auch hierzulande. Wo sind die Aufdeckungsjournalisten, die hier lästige Fragen stellen, zum Beispiel wer die beiden weiteren Adressaten der direkt vom Attentäter versendeten Pamphlete sind?  Die die seltsamen Allianzen in der breiten Öffentlichkeit aufzeigen, die sich hier gebildet haben? Der Massenmörder Breivik mag ein Einzeltäter sein – sein Gedankengut bezog er wohlvernetzt aus rückzuverfolgenden Kreisen.

 

 

 

 

Auch wenn es in der breiten Öffentlichkeit gelang, die pauschalierende Gleichung „Islam = Terror“ als Unsinn zu verwerfen, zeigt die sich wie in einem Hamsterrad in Endlosschleife drehende Diskussion um die Vereinbarkeit von Islam mit Europa doch, dass noch lange nicht jenes Vertrauen aufgebaut werden konnte, das wünschenswert wäre. - Trotz aller muslimischen, auch offiziellen Stellungnahmen, hinsichtlich der Kompatibilität ihres Muslimseins mit einem Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Menschenrechten.

 

 

 

 

Wertedebatten sind auch darum in Mode, weil parallel, freilich in anderem Kontext,  der „Werteverfall“ in der österreichischen Gesellschaft diskutiert wird. Wie so oft eignet sich das „Fremde“ wunderbar, um daran das höchst „Eigene“ projizierend abzuhandeln. Eine ansonsten längst schon in Frage zu stellende Pose der moralischen Überlegenheit lässt sich pflegen, während geradezu genüsslich die Defizite der anderen aufgelistet werden. Und fleißig aneinander vorbeigeredet wird, wenn etwa konsequent „Werte“ mit „Lebensweisen“ verwechselt werden, wobei letztere durchaus verschieden sein können und doch gleiche Werte zu konstatieren sind.

 

 

 

 

Dabei täte eine „Integration“ der Diskurse not, geht es letztlich doch um Phänomene, die in einer gemeinsamen Diskussion auch den Blick fürs Gemeinsame öffnen würden. Der viel beschworene Dialog an der Basis, unter Nachbarn: Er bleibt das um und auf und könnte helfen, punktgenau jene Dinge anzugehen, wo wirklich der Schuh drückt – also nicht nur abgehobene theoretische Debatten sondern vor allem praxisnahes Besprechen des täglichen Zusammenlebens.

 

 

 

 

Einzig was die Frage der Frauenrechte betrifft, scheinen wir ein wesentliches Stück weitergekommen zu sein. Hier mögen die Kopftuch- und sonstigen -diskussionen in all ihrer Emotionalität auch die Erkenntnis der Tragfähigkeit einer gemeinsamen Position unter dem Schlüsselbegriff „Selbstbestimmungsrecht der Frau“ gebracht haben. Unter anderem legt die gemeinsame Frauendemonstration im März, anknüpfend an den hundertsten Jahrestag einer ähnlichen Aktion am Wiener Ring, Zeugnis davon ab, dass neben dem interreligiösen Dialog unter Frauen in Österreich auch etwas wie ein Dialog unter frauenrechtlich engagierten Frauen verschiedenster Konfession besteht. Ein Pflänzchen, das weiter gepflegt werden soll.

 

 

 

 

Hoffnung geben auch die diesjährigen Entwicklungen in vielen Ländern der muslimischen Welt. Zu den fatalen Folgen von 9/11 zählt das Ausrufen eines undefinierten „Krieges gegen den Terror (im Namen der Demokratie)“ mit seiner „Koalition der Willigen“, in deren Windschatten sich gerade die zutiefst undemokratischen, jetzt gefallenen oder wackelnden arabischen Diktaturen behaupten konnten. Die aktuellen Freiheitsbewegungen machen besser als jede akademische Debatte deutlich, wie sehr sich Muslime danach sehnen, selbstbestimmt in demokratischen Rechtsstaaten, frei von Korruption und Vetternwirtschaft und frei von Zensur, die bis in die Gedankenzensur reicht, leben zu können.

 

 

 

 

Zu wünschen ist, dass 2011 somit als Freiheitsjahr  nicht nur in der muslimischen Welt eingeht. Und um ein letztes Mal den Bogen zu 9/11 zu schlagen: Auch als ein Beweis für die Kraft friedlicher, ziviler Initiativen, dass Freiheit und Demokratie nicht unter Militärstiefeln fremdbestimmt importiert werden können, sondern aus dem Volk selbst wachsen. 

 

 

 

 

Am Ende dieser kurzen Reflexion soll ein großes DANKE stehen. Denn gerade in der schwierigen Zeit rund um 9/11 bewies sich auch, wie Menschen in Krisen zusammenfinden und zusammenhalten. Aus der damaligen gemeinsamen Betroffenheit und Sorge heraus haben sich bestehende gute Kontakte verfestigt und sind viele neue entstanden. Danke für diese Solidarität, den lebendigen, auch kritischen, Gedankenaustausch und all die Aktivitäten, die daraus entstanden sind und hoffentlich noch entstehen werden!

 

 

 

 

Wien, am 9. September 2011

 

 

 

 

Carla Amina Baghajati, Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

 

Langjährige Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft,

 

nun Mitglied des Obersten Rates und Frauenbeauftragte der IGGiÖ

 

 

Die Muslime in Österreich nach dem 11. September (Text vom September 2008)

Das Gedenken anlässlich des Jahrestags der Terroranschläge auf das amerikanische World Trade Centre gibt auch einer breiten Analyse und Standortbestimmung Raum. Immer wieder rückt dabei der Islam ins Zentrum. Wie sehen Muslime ihre Situation „ein Jahr danach“?

Direkt nach den Attentaten war viel von der Sorge unter Muslimen die Rede, sie selbst oder der Islam als Religion könnten pauschal verurteilt werden. Stehen Muslime verstärkt unter Druck?

Muslime haben klar zu den Anschlägen Stellung genommen und sie einhellig verurteilt. Dies dürfte bei den Menschen angekommen sein. Aber auch wenn im allgemeinen niemand seinen muslimischen Nachbarn für die Geschehnisse haftbar macht oder ihn als Terrorsympathisanten  verdächtigt, sind wir weit davon entfernt uns entspannt zurücklehnen zu können. Dass der Islam in Österreich staatliche Anerkennung genießt, heißt eben leider noch lange nicht, dass wir damit auch gesellschaftlich allgemein anerkannt wären. Eine aktuelle Studie des Pastoraltheologen und Werteforschers Professor Zulehner spricht von 24,7 % der befragten Österreicher, die keine Muslime als Nachbarn haben wollten, 1999 waren dies noch 15,4 %.

Demnach hat sich für die Muslime in Österreich etwas verändert?

Vor den Anschlägen war das muslimische Kopftuch das unangefochtene Thema Nummer eins jeder einschlägigen Diskussion. Heute fragt man nach dem Verhältnis von Religion und Gewalt und sieht sich verunsichert was die sogenannte politische Seite des Islam betrifft. Mangelndes Wissen über den Islam und daraus resultierende Ängste und Vorurteile sind eine lange vor dem 11. September bekannte Tatsache, mit der wir uns dementsprechend ausgiebig auseinander zu setzen haben. Unter den neu hinzugekommenen Umständen tritt dies umso deutlicher hervor. Es ist besorgniserregend, wenn dem Islam immer wieder  eine Neigung zu Gewalt und Intoleranz oder Eroberungsgelüsten unterstellt wird. Das kann das an sich gute Zusammenleben empfindlich belasten.

Hat sich das Klima also verschlechtert?

Wir sehen uns darin bestätigt, dass es einer gewaltigen Anstrengung bedarf, am Abbau von Ängsten zu arbeiten. Denn Muslime bekommen deutlicher als je zuvor zu spüren, dass sie unter einer Art Rechtfertigungsdruck stehen. Sei es dass die Aufmerksamkeit und Sensibilität für Alltagsrassismus unter ihnen angesichts der Umstände gestiegen ist, sei es dass wir tatsächlich einen Anstieg zu verzeichnen haben – mehr solcher Vorfälle werden an uns herangetragen. Da findet sich die Geschichte eines Mädchens, das in der Volksschule von den Alterskameradinnen beim Spielen ausgeschlossen wird, weil sie „nicht getauft ist“, genauso wie die Erlebnisse von Menschen mit bestimmten Namen. Als ein Verkäufer mit Namen „Djihad“ so von seinen Kollegen gerufen wurde, verließen dessen Kunden das Geschäft. Gar nicht zu reden von den Gehässigkeiten, die sich wohl jeder Muslim schon unterwegs anhören musste, so wie „Schleicht’s euch, unterdrückt eure Frauen bei euch zuhause!“

Der EU- Bericht zu Fremdenfeindlichkeit stellt Österreich in Bezug auf den Islam aber ein ganz gutes Zeugnis aus?

Dem können wir nur beipflichten. Gott sei Dank ist es zu keinerlei physischer Gewalt gegen Muslime gekommen. Österreich hat durch den Anerkennungsstatus des Islam eine solide Basis, die sich gerade in der Krise als sehr effektiv erwiesen hat. Beste Kontakte zu offiziellen Stellen erleichtern den Umgang. Andernorts beneidet man uns um das friedliche Zusammenleben.

Müssen sich Muslime aber nicht auch unbequeme Fragen gefallen lassen?

Natürlich, Schönfärberei ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv. – Was den Umgang mit dem Islam betrifft, besteht aber sehr wohl ein Unterschied zwischen polemischer Schwarz – Weiß Malerei, um sich in der eigenen Pose der Überlegenheit bestätigt zu fühlen und einer differenzierten Sicht der Dinge. Oft gewinnt man den Eindruck, dass sehr bequem eigene Unzulänglichkeiten kaschiert werden sollen oder es mittels der Schaffung von Feindbildern um die Verfolgung eigener Interessen geht. Die Weltreligion des Islam kann nicht auf einige wenige Schauplätze oder Akteure reduziert werden, die oft abseits jeglicher theologischer Deckung agieren und dementsprechend heftig durch ihre Glaubensgeschwister kritisiert werden.  Es ist auch bedenklich, wie viel Ahnungslosigkeit manche Kommentare und Analysen vom schlichten Faktenwissen her verraten. Zudem ist es bedauerlich, dass so wenig von der Dynamik der Diskussion innerhalb des Islam nach außen spürbar wird. Gewiss sind es oft gerade die bohrenden Fragen, die den Diskussionsbedarf aufzeigen und die Chance zu wichtigen Klarstellungen geben.

Und was wäre seitens der Muslime klarzustellen?

Wie absurd es ist, der muslimischen Minderheit in Europa Okkupationsabsichten nachzusagen! Sieht man denn nicht, dass sich die Tendenz eines Bewusstseins als Muslim und Europäer sehr konkret auch am gesellschaftspolitischen Engagement ablesen lässt? Integration über Partizipation wird propagiert und umgesetzt. In Wien startete dieser Tage ein bekennender Muslim seine Karriere als Gemeinderatsabgeordneter. Das ist gut so. - Doch mitunter kann man wirklich nur mehr den Kopf schütteln. Da wird das Aufenthaltsrecht an Kriterien wie Deutschkenntnissen und Integration festgemacht, wenn sich Muslime darüber hinaus aber auch gesellschaftspolitisch engagieren, nimmt man sie zu wenig wahr. Oder es kursiert gar die Unterstellung, sie wollten Österreich „unterwandern“.

Man hat also Angst vor der Religiosität der Muslime? Sieht darin einen Widerspruch zu hiesigen Werten?

Ein Elfjähriger sagt seinem Vater im Auto, er möge die Korankassette ganz leise stellen – an einer Ampel könnten die Leute denken, „wir seien Leute von Usama bin Laden“.  Sogar Kinder haben also mitbekommen, dass selbstverständlich und offen gelebte Religiosität  auf diffuse Weise verdächtig scheinen könnte. Neuerdings wird noch schärfer als früher eine Einteilung vorgenommen in „liberale“- sprich gute Muslime, die es mit der Religion nicht so genau nehmen und auf dem Weg völliger Assimilation scheinen und den gefährlichen „Fundamentalisten“. Mangels besseren Wissens und unzureichender Begriffsdefinition kann man sehr schnell in diesen Topf wandern. Es wäre aber der falsche Weg für uns Muslime in die Unauffälligkeit abzutauchen. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der auf Nachhaltigkeit bauende Weg von mehr Sichtbarkeit im Alltag, gepaart mit der Fähigkeit zu Selbstkritik und der Freude an einer ehrlichen Auseinandersetzung Hemmnisse im Miteinander überwinden kann.

Gibt es Beispiele für die These, dass mehr Teilhabe sich positiv auswirkt?

Jede Frau, die es schafft einen ihrer Qualifikation entsprechenden Job zu bekommen, auch wenn sie muslimisch gekleidet ist, kann davon berichten, dass sich die alten Klischees von der unterdrückten, dummen und fremdbestimmten muslimischen Frauen abbauen lassen. Unter ehrlichem Eingeständnis, dass in der islamischen Welt die Situation für Frauen oft alles andere als rosig ist – der Islam sieht die Frau als gleichwertige Partnerin des Mannes, ausgestattet mit einem bedeutenden Bündel von Rechten.

Ist es womöglich gerade der Umstand, dass der Islam in Europa keine vorübergehende Erscheinung, sondern eine bleibende Tatsache ist, die manche Menschen verunsichert?

Die Muslime sind keine „Gastarbeiter“ mehr, sondern zu einem hohen Prozentsatz österreichische Staatsbürger, die sich mit dem Land identifizieren und hier eine Heimat gefunden haben. Es wird darauf ankommen verstärkt so ins Bewusstsein zu dringen.

Als Rezept gegen etwaige gesellschaftliche Spannungen wurde allerorts der „Dialog“ beschworen. Inzwischen Realität oder abstrakte Idee?

Wichtige Impulse gingen auch von der durch Herrn Bundespräsident Dr. Klestil initiierten Interreligiösen Gedenkstunde in der Hofburg und zahlreichen Veranstaltungen auf Ebene der Begegnung und der Diskussion aus. Dabei konnte ein breiter Querschnitt der Bevölkerung erreicht werden, kam es doch über Tage der Offenen Moschee, Pfarrgesprächskreise, Dialogstunden an vielen Schulen bis hin zu Podiumsdiskussionen, berufsbegleitenden Maßnahmen und von politischen Parteien angeregten Gesprächen zu verschiedensten Angeboten, um das außerordentliche Interesse zu befriedigen. Dialog hat in Österreich eine längere Tradition, so dass man an Erarbeitetes anknüpfen konnte.

Konnte der Dialog zum Abbau des  Informationsmangels beitragen?

Wenn ein Angestellter der MA 48 mit einem herzlichen und sichtlich wohlgemeinten „salam alaikum!“ eine muslimische Passantin grüßt, während er den Weg von den Misttonnen freimacht, ist dies ein kleines Beispiel, dass ein entspanntes Miteinander vielerorts Realität ist. Solche Alltagsgeschichten geben Hoffnung. Aber keine Frage, wesentliche Punkte sind nach wie vor zu wenig behandelt.

Welche Themen erscheinen besonders gefragt? Und was kann man in einigen Stichworten dazu sagen?

Djihad – Noch immer ist nicht genügend bekannt, dass schon der falsch übersetzte Begriff des „heiligen Krieges“ ein Unsinn ist. Kriege können nicht heilig sein.

Scharia – Hier ist ein Angstbegriff entstanden, weil das Wort fast ausschließlich auf die Strafgesetzgebung angewendet wird, die einen Bruchteil der Scharia ausmacht. Wie man sein Glaubensleben gestaltet und ethisch nach einem für die Gesellschaft nützlichen Weg sucht, ist in der Scharia niedergelegt, die nicht statisch verstanden werden darf, sondern auch Spielraum für die zeitgemäße Auslegung auf Basis der religiösen Quellen fordert.

Fundamentalismus – Durch dieses Wort lässt sich geradezu perfekt Stimmung machen, wurde der Begriff doch nie wirklich definiert, sondern interessanterweise von einer Gruppe evangelikaler Christen in Amerika auf andere übertragen. Zunehmend meint man damit eher religiösen Fanatismus, der vor keinem Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele zurückschreckt und dabei keine andere Vorstellung gelten lässt. In diesem Sinne widerspricht Fundamentalismus natürlich der islamischen Vorstellung von religiöser Toleranz und Pluralismus.

Frauenrechte – Frauen als unverzichtbarer Teil der Gesellschaft mit allen daraus resultierenden Folgen für ihre weites Tätigkeitsfeld werden vor allem als dumm, unterdrückt, fremdbestimmt und rechtlos wahrgenommen. Rechte von vermögensrechtlichen Regelungen bis zu den Sicherheit für sie anstrebenden Bestimmungen des Ehevertrages sind aber fixer Bestandteil der Religion. Es ist falsch, den Islam an sich für Missstände verantwortlich zu machen, die vielmehr in lokalen Traditionen und dem politischen und sozio-kulturellen Hintergrund zu suchen sind.

Welchen Herausforderungen sehen sich die Muslime gegenüber?

In Österreich ist nach Innen wie nach Außen viel zu leisten. Wollen wir nicht ständig vor dem Hintergrund der oft traurigen Ereignisse der Weltpolitik betrachtet und letztlich bewertet werden, müssen wir unsere eigene Identität als europäische Muslime in Österreich noch weiter entwickeln und sichtbar werden lassen. Partizipation von Männern und Frauen im Rahmen unseres demokratischen Rechtsstaats im Sinne des Gemeinwohls ist dabei ein Schlüsselwort.

Wien, am 8. September 2002

Carla Amina Baghajati